Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel haben im Jahr 2024 erneut einen Höchststand erreicht. Hauptursache hierfür sind patentgeschützte Medikamente, deren Wirksamkeit zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung oft noch nicht umfassend belegt ist und die meist nur für kleine Patientengruppen bestimmt sind. Der Arzneimittel-Kompass 2025 mit dem Titel „Die Preisfrage: Wege zu fairen Lösungen“ verdeutlicht, dass der starke Anstieg der Kosten seit 2011 vor allem auf strukturelle Veränderungen zurückzuführen ist. So entfallen mittlerweile 54 Prozent der Gesamtkosten auf patentgeschützte Präparate. Die bestehenden Mechanismen zur Preisregulierung zeigen zunehmend weniger Wirkung. Deshalb fordert der AOK-Bundesverband kurzfristig zusätzliche Maßnahmen zur Begrenzung der Ausgaben und eine gerechtere Finanzierung. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) sieht mittelfristig die Notwendigkeit, das AMNOG-Verfahren weiterzuentwickeln – dabei sollen neben dem therapeutischen Nutzen auch die Herstellungskosten sowie mehr Transparenz bei öffentlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben berücksichtigt werden.
Im Jahr 2024 beliefen sich die Arzneimittelausgaben in der GKV auf insgesamt 59,3 Milliarden Euro – ein Anstieg von über neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Helmut Schröder, Geschäftsführer des WIdO und Mitautor des Arzneimittel-Kompass 2025, betont: „Das Ende dieses Trends ist noch nicht erreicht.“ Bereits im ersten Halbjahr 2025 stiegen die Nettoausgaben um knapp fünf Prozent an; für das gesamte Jahr wird ein Zuwachs von über fünf Prozent erwartet. Ohne gesetzliche Gegenmaßnahmen sei auch für das Jahr 2026 mit einem ähnlichen Wachstum zu rechnen.
Arzneimittelkosten stellen den zweitgrößten Posten innerhalb der GKV-Ausgaben dar. Im Vergleich zu 2011 – als das AMNOG-Gesetz eingeführt wurde, um innovative Medikamente preislich besser zu steuern – haben sich diese Kosten mehr als verdoppelt (+125 %). Trotz eines Anteils von lediglich sieben Prozent an den verordneten Tagesdosen entfielen im Jahr 2024 rund 54 Prozent aller Ausgaben auf patentgeschützte Medikamente.
Schröder erklärt dazu: „Marktanalysen zeigen deutlich, dass Umgehungsstrategien pharmazeutischer Unternehmen die Steuerungswirkung einer frühen Nutzenbewertung sowie nachgelagerter Preisverhandlungen untergraben.“ Dies führe dazu, dass Preise zunehmend vom tatsächlichen therapeutischen Mehrwert entkoppelt werden können; selbst Mittel ohne belegten Zusatznutzen erzielen hohe Erstattungen. Für faire Medikamentenpreise müsse daher eine Verbindung zwischen Wert und Kosten hergestellt werden – es sei an der Zeit, das AMNOG-Verfahren durch einen kostenbasierten Ansatz zu ergänzen.
Eine wesentliche Strategie zur Verlagerung hoher Ausgabebelastungen hin zu neuen Medikamenten ist laut Schröder die sogenannte Orphanisierung: Pharmahersteller konzentrieren sich verstärkt auf seltene Erkrankungen („Orphan Diseases“), da hier bis zu einer Umsatzgrenze von aktuell etwa dreißig Millionen Euro kein Nachweis eines Zusatznutzens erforderlich ist (bis Ende 2022 lag diese Grenze bei fünfzig Millionen Euro). Dadurch wird das AMNOG-Verfahren faktisch umgangen.
Im Jahr 2024 wurden insgesamt vierundvierzig neue Wirkstoffe eingeführt; davon waren vierundzwanzig Orphan-Arzneimittel.
Obwohl sie weniger als ein Promille aller Versorgungsfälle ausmachten, verursachten Orphan-Medikamente fast vierzehn Prozent aller Arzneimittelkosten.
Schröder kommentiert: „Dies führt letztlich dazu, dass immer höhere Summen für immer kleinere Patientengruppen ausgegeben werden.“
Anhaltender Preisanstieg pro Packung im Patentmarkt
Diesen Umgehungsstrategien entsprechend stiegen auch die durchschnittlichen Preise pro Packung im Patentmarkt erheblich an: Zwischen den Jahren 2015 und 2024 kletterte dieser Wert von rund viertausend Euro auf siebentausendsiebenhundert Euro.
Der Arzneimittel-Kompass zeigt zudem auf,
dass im Jahr 2024 fast halbierte Bruttoumsätze (>48 %) durch Packungen erzielt wurden,
deren Einzelpreis über tausend Euro lag.
Schröder weist darauf hin:
„Der Umsatz hochpreisiger Medikamente hat sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdreifacht.“
Er fordert deshalb eine Reform des AMNOG-Systems mit einer ökonomischen Bewertungskomponente,
die sowohl Kosten als auch Nutzen klar gegenüberstellt:
„Eine ausschließliche Orientierung am Zusatznutzen gegenüber bisherigen Therapien greift heute nicht mehr aus.“
Auch Dr. Carola Reimann,AOK-Bundesverbandsvorsitzende, spricht sich klar für eine Überarbeitung des AMNOG-Verfahrens aus:„Deutschland profitiert zwar vom schnellen Zugang neuer Medikamente;
dabei müssen aber wirksame sowie faire Preisregulierungen gewährleistet bleiben.“
Sie betont außerdem:„Die lukrativen Gewinne einiger Pharmaunternehmen dürfen nicht gänzlich außen vor bleiben bei Effizienzbemühungen.”Konkret schlägt sie vor,wenn Evidenz unsicher sei oder medizinischer Bedarf hoch,würden solche Mittel nur in qualifizierten Zentren eingesetzt werden sollten.Außerdem sollte es keine freie Preissetzung durch Hersteller in den ersten sechs Monaten geben;wird empfohlen.“ Zudem plädiert Reiman dafür,dass Herstellerabschläge erhöht(wie z.B.aufs16Prozent)und Mehrwertsteuer gesenktwerden könnten,zur finanziellen Entlastung beitragen würden.
Doppelte Belastung öffentlicher Gelder bei Medikamentenkosten
Zudem gehört zur Diskussion um faire Preise auch Transparenz bezüglich öffentlicher Forschungs- & Entwicklungsfördermittel (F&E).Dr.Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment erläutert,dass mangelnde Offenlegung häufig bewirkt,dass öffentliche Gelder doppelt belastetwerden:(1) Steuermittel fließen direkt oder indirekt in F&E-Förderprogramme
(2) Patienten zahlen anschließend hohe Preise basierendauf eben jenen teuren F&E-Kosten
nWild kritisiert,dass Pharmafirmen derzeit fehlende standardisierte Berichterstattung nutzen,“um fälschlicherweise den Eindruckzu erwecken,sie trügen allein sämtliche hohen F&E-Auslagen.“
Um hier Abhilfe schaffen,zielt Wilds Vorschlag darauf ab,eine transparente Grundlage mittels acht Kategorien einzuführen,von Grundlagenforschung bis hinzur Evidenzgenerierung nach Markteinführung.Darüber hinaus empfiehlt sie vertragliche Bedingungenfür öffentliche Fördermittel:
- Kopplung öffentlicher Förderung daran,bis bestimmte Umsatzziele erreicht sind,muss Anfangsinvestition teilweise zurückgezahltwerden;
Buchtipp:
Helmut Schröder u.a.(Hrsg.): Arzneimittel-Kompass – Die Preisfrage: Wege zu fairer Lösungen (Ausgabe 2025)
Nähere Informationen online:
https://www.wido.de/publikationen-produkte/buchreihen/arzneimittel-kompass/2025
Open Access Publikation via Springer Link
Pressehinweis:
Gesamte Pressemappe zum Arzneimitel-Kompass – https://www.aok.de/pp/bv
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