Das deutsche Gesundheitssystem befindet sich an einem entscheidenden Wendepunkt: Der demografische Wandel und stark steigende Ausgaben gefährden die solidarische Basis der Versorgung. Beim 26. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik am 2. Dezember 2025 in Berlin forderten Fachleute eine grundlegende Abkehr von der bisherigen „Vollkasko-Mentalität“. Unter dem Motto „Gesundheit als Fundament der Demokratie“ stellte Prof. Dr. Achim Jockwig, Vorsitzender des Klinikums Nürnberg und Moderator der Veranstaltung, die Frage, welche Reformen notwendig sind, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beiträgen, Versorgungsumfang und Vertrauen in demokratische Institutionen zu gewährleisten.
Analyse: Ein System lebt über seine Verhältnisse
Tino Sorge, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), betonte die Bedeutung mutiger Debatten: „Der Erfolg hängt davon ab, unbequeme Themen offen anzusprechen – viele traditionelle Konzepte stoßen an ihre Grenzen.“ Prof. Dr. Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hob insbesondere hervor, wie wichtig Effizienz angesichts knapper Ressourcen ist: „Nur durch effiziente Nutzung können alle Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten und eine Überlastung der Beitragszahler vermieden werden.“ Seine Analyse zeigte eine deutliche Schieflage im internationalen Vergleich auf: Deutschland gibt mehr als zwölf Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aus – deutlich mehr als beispielsweise die Niederlande mit zehn Prozent –, ohne dass dies zu einer signifikant höheren Lebenserwartung führt.
Bedarfsgerechte Versorgung bei fairer Belastung aller Beteiligten
Dr. Francesco De Meo, Berater und ehemaliger CEO der Helios-Klinikgruppe, machte den Frust von Patienten und Leistungserbringern sichtbar: „Das Gesundheitswesen wird zunehmend zum Spielball populistischer Forderungen.“ Er appellierte an alle Akteure mit Nachdruck: „Demokratie ist keine Versicherung oder Dienstleistung allein; sie beruht auf gemeinsamer gesellschaftlicher Verantwortung.“ Für ihn muss sich die Versorgung konsequent am tatsächlichen Bedarf orientieren – dabei steht Qualität vor Quantität im Vordergrund: Es gehe nicht um mehr Geld sondern um Freiräume für regionale Budgets ohne starre Sektorengrenzen oder Silodenken. Karin Maag vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ergänzte dazu den Aspekt Fairness als zentralen Faktor für Akzeptanz bei notwendigen Sparmaßnahmen; es sei essenziell, dass alle Beteiligten gleichermaßen belastet werden.
Finanzielle Stabilität als Grundlage von Sicherheit und Qualität
Oliver Blatt vom GKV-Spitzenverband unterstrich die Notwendigkeit finanzieller Stabilität innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) als Voraussetzung für verlässliche Versorgungssicherheit sowie hohe Versorgungsqualität: „Bezahlbarkeit muss wieder ins Gleichgewicht mit umfassendem Zugang gebracht werden.“ Dazu seien tiefgreifende Strukturreformen unverzichtbar; er rief dazu auf, dringend notwendige Großprojekte wie Notfall- oder Krankenhausreformen prioritär umzusetzen um Kostenexplosionen einzudämmen.
Michael Hennrich von Pharma Deutschland e.V. betonte zusätzlich das Erfordernis eines stabilen Wirtschaftswachstums zur Stärkung der GKV-Finanzen durch höhere Beschäftigung sowie Einkommen – was wiederum zu höheren Beitragseinnahmen führe –, sowie das Potenzial zur Hebung von Effizienzreserven im System bei gleichzeitiger Förderung eigenverantwortlichen Handelns seitens Patientinnen und Patienten.
Schlussfolgerung: Das Prinzip „Viel hilft viel“ ist überholt
Der 26. Eppendorfer Dialog verdeutlichte eindrücklich das Ende des Prinzips „Viel hilft viel“. Um das Gesundheitssystem weiterhin stabil als demokratischen Pfeiler zu erhalten bedarf es einer einkommensorientierten Ausgabenpolitik.
Kurzfristige Maßnahmen müssen zunächst Entlastung schaffen damit langfristig wirksame Strukturreformen umgesetzt werden können.
Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik
Vor fast zwei Jahrzehnten wurde diese Veranstaltungsreihe von G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG in Hamburg initiiert.
In diesem Jahr fand sie erstmals in Berlin statt – genau dort wo zentrale Weichenstellungen erfolgen.
Die Reihe fördert einen transparenten evidenzbasierten Austausch zwischen wichtigen Akteuren unseres Gesundheitswesens
und stärkt somit demokratische Diskursstrukturen nachhaltig.
Pressekontakt:
Silke Schrader
Health Angels
schrader@health-angels.agency
